Wann darf ich reparieren?
Im zweiten Teil unserer Serie zum Totalschaden geht es um die Frage, wann ich mein Auto reparieren lassen darf, auch wenn eigentlich ein Totalschaden vorliegt:
Auf den ersten Blick ist diese Frage ja leicht zu beantworten: nie. Sonst wäre es ja kein Totalschaden. Die Antwort ist aber falsch. Tatsächlich kann man auch bei einem Totalschaden sein Auto reparieren lassen, wenn drei Bedingungen vorliegen:
- die vom Sachverständigen ermittelten brutto-Reparturkosten betragen nicht mehr als 130 % des Wiederbeschaffungswertes
- das Auto wird nach den Vorgaben des Sachverständigen vollständig reguliert
- das Auto wird nach dem Unfall noch mindestesn 6 Monate weiter genutzt.
Die 130 % Grenze bezeichnet der Jurist als „Integritätszuschlag“. Was ein komplizierter Ausdruck für einen einfachen Gedanken ist: bevor ich mir ein neues Auto kaufe, ohne zu wissen, welche Macken es vielleicht hat, nutze ich lieber mein altes Auto weiter, dessen Macken kenne ich ja schon.
Was bedeutet das jetzt konkret?
Nehmen wir an, das Auto hat einen Wiederbeschaffungswert von 1.000 €. Der Sachverständige berechnet die Reparturkosten mit 1.300 € (= 130 % des Wiederbeschaffungswertes). Dann darf ich mein Auto reparieren lassen und die gegnerische Versicherung muss trotzdem die Reparaturkosten ersetzen, obwohl es billiger gewesen wwäre, einfach ein Ersatzauto zu kaufen.
Nehmen wir jetzt an, der Sachverständige hätte die Reparaturkosten auf 1.500 € geschätzt. Jetzt könnte man ja auf die Idee kommen, das Auto einfach reparieren zu lassen und 200 € aus eigener Tasche zu zahlen. Oder man sagt der Werkstatt, sie soll nur die wirklich notwendigen Arbeiten ausführen und die defekten Zierleisten einfach nicht austauschen. So komme ich dann wieder auf 1.300 € Reparaturkosten.
Beides klingt schlau, aber beides geht nicht, sagt der BGH, zuletzt mit Urteil vom 02.06.2015 – Az. VI ZR 387/14.
Und was ist, wenn ich es schaffe, den Wagen für 1.300 € fachgerecht reparieren zu lassen, obwohl der Sachverständige sagt, es wäre teurer, zum Beispiel weil die Werkstatt statt neuer Ersatzteile gebrauchte Ersatzteile verwendet?
Dann kann ich trotzdem die 1.300 € verlangen, so lange der Schaden so, wie vom Sachverständigen vorgesehen, vollständig repariert wurde. Der BGH, Urt. v. 14.12.2010 – VI ZR 231/09 sagt dazu:
jedenfalls in Fällen, in denen die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten über der 130 %-Grenze liegen, es dem Geschädigten aber – auch unter Verwendung von Gebrauchtteilen – gelungen ist, eine nach Auffassung des sachverständig beratenen BG fachgerechte und den Vorgaben des Gutachtens entsprechende Reparatur durchzuführen, deren Kosten unter Berücksichtigung eines merkantilen Minderwerts den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen, kann dem Geschädigten aus dem Gesichtspunkt des Wirtschaftlichkeitsgebots eine Abrechnung der konkret angefallenen Reparaturkosten nicht verwehrt werden.
Es kann also nicht schaden, sich zu den vielen Möglichkeiten der Regulierung eines Unfallschadens mal fachkundig beraten zu lassen.